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Prof. Dr. Mario Ragwitz, Institutsleiter Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG © Dieter Hüsten / Bildquelle: Fraunhofer IEG
© Dieter Hüsten
Prof. Dr. Mario Ragwitz, Institutsleiter Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG

Europa setzt auf Wasserstoff: Zukunftsstrategie für 2050

Kategorien: |
Thema:
Autor: B S

Datum: 02. Mai. 2024

Mai 2024 | Im Zuge der Energiewende zeichnet sich ab, dass Wasserstoff eine Schlüsselrolle in Europas Energiezukunft spielen wird. Laut einem aktuellen White Paper des Wasserstoff-Leitprojekts TransHyDE-Systemanalyse, koordiniert von Fraunhofer IEG und DECHEMA e.V., wird Europa im Jahr 2050 mindestens 700 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff benötigen.

Eine umfassende Analyse, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), offenbart die Bedeutung von Wasserstoff insbesondere für die Stahl- und Chemieindustrie sowie den Transportsektor.

Betrachtet haben die Forscher und Forscherinnen die Nachfrage von Industrie, Haushalten und Transportsektor. Nach 2030 erwarten sie erhebliche Kostensenkungen bei grünen Energieträgern, doch würden diese nicht reichen, um Niedertemperatur-, Heiz- und Prozesswärme wirtschaftlich zu erzeugen.

Insgesamt haben die Forscher einen Mindestbedarf von 700 TWh gasförmigen Wasserstoff für Europa und Großbritannien im Jahr 2050 ermittelt. Wasserstoff ist nur dann förderlich für die Umsetzung der Energiewende, wenn die zeitliche und räumliche Verfügbarkeit den jeweiligen Bedarfen entspricht.

Wasserstoff wird demnach vor allem bei Hochtemperatur- und energieintensiven Prozesswärmeanwendungen benötigt, sowie als Rohstoff in der Industrie und der zentralen Strom- und Fernwärmeerzeugung.

Industrielle Nachfrage als Treiber der Wasserstoffwirtschaft

Im industriellen Sektor erweist sich die Stahlproduktion als einer der Hauptverbraucher von Wasserstoff. Mit einem prognostizierten Bedarf von 200 bis 300 TWh wird deutlich, dass die Transformation zu einer nachhaltigen Industrie ohne den Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff kaum denkbar ist. Vorteil: Die Stahlindustrie benötige große Mengen klimaneutralen Wasserstoffs, könne aber auch flexibel auf Mischungen von Wasserstoff mit Erdgas umsteigen, was eine kontinuierliche Transformation unterstütze.

Auch die chemische Industrie könne eine wichtige Triebfeder für den Ausbau der europäischen Wasserstoffinfrastruktur darstellen. Denn die Produktion von grünem Ammoniak oder hochwertigen Chemikalien benötige große Mengen an Wasserstoff.

Co-Koordinator Mario Ragwitz, Institutsleiter am Fraunhofer IEG, erklärt:

“Allerdings ist es ungewiss, ob die komplette Wertschöpfungskette von Sonnen- und Windstrom über die Wasserstoffproduktion bis zur Produktion verschiedener Chemikalien in Europa realisiert werden kann. Importe von Zwischenprodukten wie grünem Methanol oder Ammoniak könnten die Nachfrage nach Wasserstoff im europäischen Industriesektor reduzieren. Daher wurden diese Sensitivitäten im Rahmen von TransHyDE betrachtet.”

Zweitwichtigster Abnehmer von Wasserstoff sei das Transportwesen. Laut Co-Autor Christoph Nolden, Geschäftsbereichsleiter Netze, Energie- & Verfahrenstechnik am Fraunhofer IEG, werde ein Wasserstoffbedarf von etwa 450 TWh für grüne Kraftstoffe prognostiziert. Eine wesentliche Unsicherheit im Transportsektor besteht im Wettbewerb zwischen der direkten Elektrifizierung und Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieben in Schwerlastfahrzeugen. Es wird geschätzt, dass der Bedarf um weitere 380 TWh ansteigen könnte, sollten 40% der Schwerlast-LKWs mit Brennstoffzellen betrieben werden.

Produktion von Wasserstoff in Europa

Die Produktion von Wasserstoff in Europa hänge – so die Forscher und Forscherinnen – davon ab, ob die ambitionierten Ziele zum Ausbau von europäischen Wind- und Solaranlagen erreicht würden.

Die Rolle der Elektrolyse in der Sektorkopplung werde sich, so Co-Koordinator Florian Ausfelder, Fachbereichsleiter Energie und Klima bei der DECHEMA e.V. während des Markthochlaufs erheblich entwickeln:

“Zunächst werden Elektrolyseure in Cluster integriert, um die sichere und kontinuierliche Lieferung von Wasserstoff für die industrielle Nutzung zu gewährleisten. Sobald die Wasserstoffinfrastruktur etabliert ist, können Elektrolyseure in das Netz einspeisen und gleichzeitig Flexibilität im Stromnetz bieten: So können Netzbetreiber Elektrolyseure einsetzen, um den Ausbaubedarf des Stromnetzes und damit Kosten zu reduzieren.”

Zu beachten bliebe: Gerade zu Beginn des Markthochlaufs könne grüner Wasserstoff fehlen, um den Bedarf zu befriedigen. Während dieser Phase müssten Alternativen wie blauer Wasserstoff den bestehenden Bedarf decken.

Transport und Speicherung von Wasserstoff und seinen Derivaten

Co-Autor Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds Nachfrageanalysen und -projektionen beim Fraunhofer ISI:

“Die Versorgungssicherheit und die Transformation in eine Wasserstoff-Wirtschaft hängen auch vom Ausbau der entsprechenden Transport- und Speicherinfrastruktur ab. Die Modellierungsergebnisse zeigen, dass ein geeignet dimensioniertes Wasserstoff- Kernnetz die Versorgung der Wasserstoff-Nachfrage bei minimalen Gesamtsystemkosten ermöglicht.”

Das Kernnetz könne die potentiellen Erzeuger von Erneuerbaren Energien, vor allem im europäischen Norden und Süden, mit den unterirdischen Speichern und Industriezentren in Mitteleuropa verbinden.

Co-Autorin My Yen Förster, DECHEMA e.V.:

“Die Umnutzung ehemaliger Erdgaspipelines spielt eine entscheidende Rolle in der Transformation des deutschen und europäischen Energiesystems. Die Forschungsergebnisse bestätigen, dass mit dieser Umnutzung die Versorgungsanforderungen in verschiedenen Szenarien befriedigt werden können. Importe aus Nicht-EU Ländern scheinen dann besonders wettbewerbsfähig zu sein, wenn sie an Pipelines gebunden sind.”

Pipelinegebundene Einfuhren könnten über die MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) erfolgen. Importe von Wasserstoffderivaten oder Zwischenprodukten, wie Ammoniak oder Eisenschwamm seien voraussichtlich kostengünstiger als ihre Produktion in Europa.

Mehr Informationen

Die Originalpublikation ist abrufbar unter wasserstoff-leitprojekte.de/European_Hydrogen_Infrastructure_Planning.pdf

Weiterführende Informationen gibt es auf den Websites von Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG und Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE sowie auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Zum White Paper beigetragen haben neben der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG und der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. auch Mitarbeitende von: Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI, Salzgitter Mannesmann Forschung GmbH, Forschungsstelle für Energiewirtschaft FfE, Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg, VNG AG, Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, DVGW-Forschungsstelle am Engler-Bunte-Institut, Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme gGmbH, Technische Universität Berlin, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. Das Leitprojekt TransHyDE wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

 

(Quelle: Fraunhofer IEG/2024)