Energieintensive Branchen wie die Stahlindustrie stehen vor dem größten Wandel ihrer Geschichte. Die von der Politik geforderte Transformation zu klimaneutralen Produktionsverfahren wird allein in der Stahlindustrie in den nächsten Jahrzehnten Milliarden verschlingen. Der Klimawandel gilt als neue Herausforderung auf dem Pfad in die „Grüne Zukunft“.
Im Vorfeld der Handelsblatt-Jahrestagung „Zukunft Stahl 2021“ wurden einige Fragen hierzu diskutiert: Wie begegnet die Stahlindustrie dem neuen Wettbewerbsdruck? Wo soll die erneuerbare Energie herkommen, die für die grüne Transformation benötigt wird? Wie lässt sich der europäische Markt wirksam vor günstiger, aber klimaschädlicher Konkurrenz aus dem Ausland schützen? Und wie lässt sich das alles trotz Krise finanzieren?
Staatliche Unterstützung für die Umstellung der Produktionsprozesse
Bundesumweltministerin Svenja Schulze stellt klar, dass die Stahlindustrie CO2 reduzieren muss und sicherte staatliche Unterstützung für die Umstellung der Produktionsprozesse zu, damit sinnvolle Rahmenbedingungen diese Transformation flankieren. Hauptziel sei der Ausbau von erneuerbaren Energien und eine steile Hochlaufkurve für die Nutzung von Wasserstoff. Damit die Mehrkosten der Dekarbonisierungstechnologien für die betroffenen Branchen finanzierbar bleiben, müssen u. a. die Stromkosten niedrig gehalten werden. Die Bundesregierung sei wie auch die EU-Kommission daran interessiert, dass die Stahlindustrie in Europa erfolgreich ist und nicht abwandert [1]. Es gelte, die qualifizierten Arbeitsplätze der Branche zu erhalten.
Bernhard Osburg, Sprecher des Vorstands thyssenkrupp Steel Europe AG ergänzte, dass die Transformation ein großer Kraftakt für die gesamte Branche sei, aber auch eine unternehmerische Chance. Allerdings sei es keine kluge Idee, bei der Stahlproduktion die Flüssig- von der Festphase zu trennen. Neue wasserstoffbasierte Verfahrenswege mit Direktreduktionsanlagen und mithilfe von Elektrolichtbogenöfen müssten weiterhin an integrierten Standorten umsetzbar bleiben. Innovationen mit Kunden können nur an Standorten mit voller Prozesskontrolle erarbeitet und umgesetzt werden. Für den Transport von Wasserstoff könne man bestehende Pipelines nutzen.
Dr. Nils Naujok, Partner, PwC Strategy& (Germany) GmbH, teilte diese Meinung: Der benötigte Wasserstoff könne über Pipelines und Speicherlösungen genutzt werden. Man müsse integrierte Verfahrenslösungen umsetzen, statt zerrissene Lieferketten an verschiedenen Standorten zu riskieren. Als zusätzliche Option zur schnell umsetzbaren CO2-Einsparung nannte er die Rückführung von sortenreinem Schrott, der durch eine optimierte Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) realisiert werden kann.
Global verbindliche Klimaabkommen benötigt
Svenja Schulze hält mögliche Grenzzölle für Stahlimporte für nicht zielführend, es seien aber Schutzmechanismen erforderlich, um die europäische Produktion gegenüber Billiganbietern, die ohne Klimaregeln produzieren, zu schützen. Laut S. Schulze werden neben dem europäischen Emissionshandel (EU-ETS) auch global verbindliche Klimaabkommen benötigt. Sie plädierte erneut für projektbezogene Zuschüsse. Sie sollen die Mehrkosten von Dekarbonisierungstechnologien ausgleichen. „Carbon Contracts for Difference“-Modelle seien als Übergangslösung sinnvoll und geben den Anreiz, in großtechnischem Maßstab in Wasserstofftechnologien zu investieren. Da müsse der Staat gezielt helfen.
Dr. Nils Naujok forderte, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Branche gesichert werden müsse. Beim Benchmark der möglichen CO2-Einsparung pro installierter Leistung habe die Stahlindustrie die Nase vorn.
Bernhard Osburg warb dafür, gemeinsam mit der deutschen und europäischen Politik Wege auch für einen praktikablen und sinnvollen Außenschutz zu finden. „Border Taxes“ seien nur schwer umsetzbar, man müsse andere politische Lösungen für klimaneutrale Konzepte gestalten. Für die zu erwartenden 30 bis 60 % höheren Brammenkosten müssen Kunden oder Verbraucher kompromissbereit sein. Fakt sei: die Technologie zur Transformation existiert und ist realisierbar, man müsse dies allerdings schnell umsetzen, um weltweit einen Vorteil zu erhalten.
Dr. Naujok ergänzte, dass eine CO2-optimierte Stahlindustrie mithilfe von Wasserstoff, Direktreduktion und Elektrostahlerzeugung die Transformation zu „grünen Stahlprodukten“ ermögliche. Große Kunden müssen allerdings Ihre Zustimmung für dieses Engagement abgeben und diesen Weg mittragen. Die damit verbundenen höheren Kosten für Investitionen, Rohstoffeinsatz und die schnelle Umsetzung dürften nicht allein von der Stahlindustrie getragen werden.
Das Fazit von Bundesumweltministerin Svenja Schulze lautete, dass für eine erfolgreiche Transformation auch neue „Grüne Leitmärkte“ für neue Produkte etabliert werden müssten. Hierbei verwies sie auf eine Studie der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die Rahmenbedingungen für die Transformation seien klar. Die Politik habe den Willen und langen Atem zur Begleitung der Stahlindustrie auf diesem langen Weg. Es lohne sich, das Ziel abzusichern.
Literatur
[1] Timmermanns: EU will massiv auf Wasserstoff setzen, Handelsblatt, 2. März 2021.
Handelsblatt-Jahrestagung „Zukunft Stahl 2021“
Die Handelsblatt-Jahrestagung „Zukunft Stahl 2021“ findet am 11. März 2021 statt. Weitere Informationen finden Sie hier.