Der Dekarbonisierungsprozess besteht im Wesentlichen aus drei Phasen: In der ersten geht es darum, die Energie-
verbräuche so weit wie möglich und wirtschaftlich sinnvoll zu reduzieren. In der zweiten Phase folgt die eigentliche Dekarbonisierung, indem der verbleibende Energiebedarf kohlenstofffrei gedeckt wird. Sind schließlich alle technisch und ökonomisch sinnvollen Maßnahmen ausgeschöpft, wird eine Restmenge an CO2-Emissionen übrigbleiben. Um rechnerisch trotzdem Klimaneutralität zu erreichen, können diese Emissionen in der dritten Phase über entsprechende Zertifikate kompensiert werden.
Vor allem bei sehr energieintensiven Unternehmen kann die Ansicht bestehen, dass sich am Großteil des Energie-verbrauchs ohnehin kaum etwas ändern lässt, weil die Produktionsprozesse das nicht zulassen. Doch häufig zeigen Messungen und Auswertungen, dass an Stellen hohe Verbräuche anfallen, an denen es gar nicht vermutet wurde. Das liegt meist daran, dass Laufzeiten falsch eingeschätzt werden oder der Verbrauch einer Maschine nicht (mehr) den Herstellerangaben entspricht. Zudem werden mit solchen Auswertungen Optimierungspotenziale augenfällig, auf die man sonst nicht gestoßen wäre. All dies summiert sich meist zu einer signifikanten Energieeinsparung.
Potenziale der ISO 50001 nutzen
Viele stahlverarbeitende Unternehmen sind bereits ISO-50001-zertifiziert und haben damit auch ein Energiemanagement-System im Einsatz. Werden die Messdaten noch manuell aufgenommen und mit Hilfe von Excel oder ähnlichen Tools ausgewertet, lassen sich die beschriebenen Erkenntnisse in der Regel jedoch nicht gewinnen und die Potenziale, welche die ISO 50001 eröffnet, bleiben ungenutzt. Denn hierfür sind die Messintervalle zu lang, die Datenqualität ungenügend und die Möglichkeiten an Auswertungen zu eingeschränkt – dafür ist der Aufwand sehr hoch.
Mit einem zeitgemäßen Energiemanagement-System lassen sich die Messdaten aufwandsarm ausschöpfen. Denn ein solches System automatisiert den Prozess und schafft Transparenz über alle Verbräuche: Die relevanten Messdaten werden über das Unternehmensnetzwerk automatisch an eine Software gesendet, die sie durch Analysen und Berichte visualisiert. Dadurch werden verschiedene Aspekte sofort sichtbar, die in reinen Zahlenreihen nicht erkennbar sind: von den Großverbrauchern über Lastspitzen bis hin zu Anomalien.
Auf dieser Basis können Unternehmen ihren Status Quo ermitteln und wirkungsvolle Effizienzmaßnahmen umsetzen. Fehlinvestitionen in Maßnahmen, die dann nur geringe Auswirkungen haben, lassen sich so verhindern. Aufgrund der fortlaufenden Auswertungen können die Verantwort-
lichen auch die Auswirkungen einer Effizienzmaßnahme sofort erkennen und beziffern. So besteht die Möglichkeit, zeitnah zu reagieren und die Energieeffizienz im Sinne eines Regelkreises weiter zu erhöhen. Ebenso wird gleich sichtbar, wenn sich Änderungen im Maschinenpark oder bei den Prozessen auf den Energieverbrauch auswirken.
Zudem können für alle Messwerte Grenzwerte definiert werden, sodass das System bei Über- oder Unterschreitungen automatisch die entsprechenden Personen informieren kann. Damit lassen sich Lastspitzen vermeiden sowie erhöhte Verbräuche aufgrund von Defekten oder ähnlichem.
Gleichzeitig sinkt der Aufwand erheblich. Energiemanagement-Verantwortliche können sich drauf konzentrieren, die Effizienz zu steigern, anstatt Daten zusammenzutragen und Berechnungen durchzuführen.
Auswahlkriterien für ein Energiemanagement-System
Wer sich dazu entschließt, ein solches Energiemanagement-System einzuführen, sollte ein paar Dinge beachten: Um die vorhandenen Messgeräte, Zähler und Fühler weiter nutzen zu können, muss das System Geräte herstellerunabhängig integrieren können und alle gängigen Schnittstellen mitbringen.
Lassen sich auch alle Energiearten (Strom, Gas, Wasser, Druckluft, Dampf, Wärme/Kälte) und Zustandsdaten wie Temperatur oder Druck einbinden und auswerten, erweist sich das meistens als sehr wertvoll. In der Stahlindustrie sind z. B. Temperaturen wichtige Parameter, die den Energieverbrauch beeinflussen. Sie können dann mit entsprechenden Sensoren erfasst und mit der Energiemanagement-Software ausgewertet werden. Manche unserer Kunden nutzen unser System sogar außerhalb des Energiemanagements, indem sie damit Werte überwachen, die für die Qualitätssicherung relevant sind. Weiterhin spielen CO2-Emission pro Tonne Stahl eine immer wichtigere Rolle, da es erklärtes Ziel ist, diese in Zukunft deutlich zu reduzieren.
Für einen zügigen Start und schnelle Ergebnisse ist es vorteilhaft, wenn sich das System schnell und einfach installieren und intuitiv nutzen lässt. Ist es außerdem modular aufgebaut, können Unternehmen mit einer kleinen Lösung und wenigen Messgeräten starten. Weitere lassen sich dann nach Bedarf hinzufügen, z. B. für andere Unternehmensbereiche, zusätzliche Medien oder um die Detailtiefe gezielt in den Bereichen zu erhöhen, in denen das Effizienzpotenzial hoch ist.
Bei der Dimensionierung eines Energiemanagement-Systems hat sich in zahlreichen Projekten bei Unternehmen unterschiedlicher Größe und Branchen eine Drei-Prozent-Regel herauskristallisiert: Für eine Investition von maximal drei Prozent der jährlichen Energiekosten über alle Medien und Energieträger hinweg erhalten Unternehmen ein wirkungsvolles System mit einer attraktiven Amortisationszeit von meist unter einem Jahr. Sind bereits Messinfrastrukturen vorhanden, genügt eine entsprechend geringere Investition.
Fördermittel ausschöpfen
Durch Fördermittel lassen sich die Kosten häufig noch reduzieren. Weil auch der Staat den Nutzen eines betrieblichen Energiemanagements erkannt hat, stehen derzeit einige, teils umfangreiche Förderprogramme zur Verfügung. Zu den wichtigsten gehört die Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) des BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle). Mit dem Modul 3: Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR), Sensorik und Energiemanagement-Software werden deren Erwerb und Installation inklusive Schulungen je nach Unternehmensgröße mit 30 bis 50 Prozent unterstützt.
Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) fördert MSR, die zur Heizungsoptimierung oder für die Gebäudeautomatisierung in Nichtwohngebäuden eingesetzt wird. Bei einer Investition von mindestens 300 Euro brutto und maximal 1.000 Euro pro Quadratmeter können Unternehmen bis zu 20 Prozent der förderfähigen Investitionen erhalten.
Neben diesen Bundesprogrammen gibt es auch zahlreiche länder- und branchenspezifische Förderprogramme. Einen Überblick gibt die Seite www.foerderdatenbank.de. Weil sich die Förderlandschaft derzeit recht dynamisch ändert, ist es oft sinnvoll, einen Energieberater zu Rate zu ziehen. Er kann unabhängig beurteilen, welche Programme für das jeweilige Unternehmen die optimale Förderung bieten und wie vorzugehen ist, um diese maximal auszuschöpfen.
Die Basis: das Messkonzept
Für Unternehmen, die noch keine ausreichende Messinfrastruktur haben, ist ein Messkonzept entscheidend, das sicherstellt, dass später auch die nötigen Daten vorliegen. Wer das selbst erstellen möchte, kann den Ort der Energieeinspeisung als Ausgangspunkt nehmen und von hier dem Energiefluss im Unternehmen folgen – im Strombereich also entlang der Hauptverteilungen zu den Unterverteilungen. Zum Start sollten auf jeden Fall die größten Abgänge gemessen werden. Dabei sind neben den Anschlusswerten auch die Betriebszeit und Auslastung einzukalkulieren. Mit einer solchen Messinfrastruktur lassen sich die Bereiche mit dem höchsten Verbrauch identifizieren, bei denen sich dann auch eine genauere Betrachtung lohnt.
Darüber hinaus ist die Beeinflussbarkeit zu berücksichtigen. Denn was sich nicht ändern lässt, braucht auch nicht gemessen werden. So ist es z. B. sinnvoll, die Druckluft-Anlage zu messen, wo sich der Verbrauch durch Leckage-Erkennung, Abdichtungen, optimierte Einstellungen oder eine Bezugs- oder Nutzungsänderung oft erheblich reduzieren lässt. Anders beim Lastenaufzug, dessen Leistungsaufnahme in der Regel nicht beeinflussbar ist. Zudem sollte das vermutete Einsparpotenzial einer Messstelle signifikant höher sein als die Kosten für die notwendige Messtechnik inklusive Installationsaufwand.
Bedienerfreundlichkeit ist zentraler Erfolgsfaktor
Steht das System, kommt ein weiterer Erfolgsfaktor zum Tragen: Wie einfach lässt es sich nutzen? Vor allem mächtige Software-Lösungen mit zahlreichen Funktionen überfordern die Anwender häufig. Je intuitiver die Software verstanden wird, desto umfassender wird sie genutzt – und desto größer die „Ausbeute“. Bei vielen Unternehmen führt das sogar zu einer Art internem Wettbewerb, weitere Ansatzpunkte zu finden und auszureizen.
Energie-Kennzahlen bilden
Die ISO 50001 schreibt unter anderem die Bildung von Energie-Kennzahlen vor. Für stahlverarbeitende Unternehmen ist die entscheidende Kennziffer der Verbrauch an Strom in kWh pro Tonne verarbeitetes Rohmaterial. Doch auch der Verbrauch eines Prozesses oder Bereichs im Verhältnis zum Gesamtenergieverbrauch oder die Energiekosten im Verhältnis zu den Produktionskosten können sinnvolle Kennzahlen sein.
Die meisten Daten, die für die Kennziffernbildung gebraucht werden, liegen im Unternehmen bereits vor – jedoch verteilt, z. B. in der Betriebs- oder Maschinendatenerfassung (BDE/MDE), dem ERP-System oder der Gebäudeleittechnik. Verfügt das Energiemanagement-System auch auf der Software-Ebene über alle gängigen Schnittstellen, können die relevanten Daten aus den entsprechenden Systemen ebenfalls automatisiert übernommen und zu Kennziffern verrechnet werden. So liegen diese immer aktuell vor und es zeigt sich sofort, wenn irgendwo etwas nicht stimmt. Damit kann das Energiemanagement-System z. B. auch für die vorausschauende Wartung genutzt werden. Daten, die sich nur selten oder gar nicht ändern, z. B. die Lagerfläche, lassen sich im Idealfall händisch eintragen.
Fazit
Mit einem solchen Energiemanagement-System sind stahlerzeugende und -verarbeitende Unternehmen gut gerüstet für die Umsetzung ihrer Dekarbonisierungsstrategie und die weiteren Schritte der Substitution fossiler Energieträger und schließlich der Kompensation.
Autor
Rolf Wagner