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Szenarien für den Stahlschrottbedarf der deutschen Stahlindustrie

Der Einsatz von Schrott als Rohstoff der Stahlherstellung vermeidet CO2-Emissionen in erheblichem Umfang. Ambitionierte Klimaziele lassen einen steigenden Bedarf an Stahlschrott erwarten. Dessen Verfügbarkeit ist jedoch begrenzt. Diese Studie (Hartung et al. 2025) quantifiziert Bandbreiten des Schrottbedarfs der deutschen Stahlindustrie bis 2045. Neun Szenarien tragen den erheblichen Unsicherheiten Rechnung. Die Ergebnisse zeigen, dass in Deutschland nicht pauschal mit einem Mangel an Stahlschrott zu rechnen ist. Knappheit ist primär bei hochwertigem Schrott zu erwarten. Mehr Investitionen in die Aufbereitung und Importe können die Knappheit reduzieren.

von | 10.06.25

Historische Entwicklung Stahlschrotteinsatz und Rohstahlproduktion (Quelle: Hartung et al. 2025 in Anlehnung an Wirtschaftsvereinigung Stahl (2017, 2021, 2022, 2023a,b, 2024a); Bureau of International Recycling (2014).)
Historische Entwicklung Stahlschrotteinsatz und Rohstahlproduktion (Quelle: Hartung et al. 2025 in Anlehnung an Wirtschaftsvereinigung Stahl (2017, 2021, 2022, 2023a,b, 2024a); Bureau of International Recycling (2014).)

Die Stahlindustrie setzt derzeit etwa ein Drittel der industriellen CO2-Emissionen Deutschlands frei. Bis 2045 soll und will sie klimaneutral produzieren (Wirtschaftsvereinigung Stahl 2024). Der Einsatz von Stahlschrott als Rohstoff trägt dazu bei. Jede wieder eingeschmolzene Tonne Stahlschrott vermeidet etwa 1,66 t CO2 (World Steel Association 2021) gegenüber der Primärproduktion. Diese Einsparungen sind bereits mit heutiger Technologie möglich. Die neuen klimaneutralen Produktionsverfahren für Primärstahl, insb. die wasserstoffbasierte Direktreduktion von Eisenerz in Kombination mit Elektrolichtbogenöfen, erlauben einen flexibleren Einsatz von Stahlschrott als heutige Hochöfen.

Daraus erwachsen drei Fragen: Wie könnte sich der Stahlschrottbedarf der deutschen Stahlindustrie bis 2045 entwickeln? Wie der Bedarf an hochreinem Schrott für die Produktion besonders anspruchsvoller Stähle? Und droht – im Vergleich zur derzeitigen Verfügbarkeit – eine Knappheit in Deutschland?

Methodik

Die Stahlschrottnachfrage hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: der Rohstahlproduktion, dem Anteil der Produktionsverfahren (Verfahrensrouten) und den Schrotteinsatzquoten in diesen Verfahren. Die Entwicklung dieser Faktoren bis 2045 ist mit erheblichen Unsicherheiten verbunden.

Um den Unsicherheiten Rechnung zu tragen und eine plausible Bandbreite des Stahlschrottbedarfs zu ermitteln, greifen wir auf Szenarien zurück. Szenarien sind konsistente und schlüssige Bilder der Zukunft und beruhen auf hypothetischen Sequenzen von Ereignissen (Günther 2024). Sie sind keine Prognosen.

Die Studie entwickelt insgesamt neun Szenarien. Die Annahmen, auf denen sich die die Szenarien stützen, basieren auf der Auswertung von aktuellen Studien zur Transformation der Stahlindustrie zur Klimaneutralität, auf der Analyse von Trends sowie ergänzenden Annahmen zu den Schrotteinsatzquoten in neuen Produktionsverfahren.

Die Szenarien unterscheiden sich in der Entwicklung von Rohstahlproduktion und Schrotteinsatzquoten der neuen Produktionsverfahren voneinander. Bei der Rohstahlproduktion werden Werte von 41-35 Mio. t (2030) bzw. 40-28 Mio. t (2045) berücksichtigt. Die Schrotteinsatzquoten werden für die wasserstoffbasierten Direktreduktionsverfahren variiert. Die Zusammensetzung der Verfahrensrouten wurde nicht variiert, da sowohl Studien als auch Ankündigungen der Stahlproduzenten ein ähnliches Bild vermitteln: der Hochofen soll durch wasserstoffbasierte Verfahren ersetzt, der Anteil schrottbasierter Elektroöfen erhöht werden.

Schrottbedarfe steigen (sehr wahrscheinlich) an

Ein Anstieg des Stahlschrottbedarfs über 17,2 Mio. t – den Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2023 – erscheint wahrscheinlich. Für 2030 liegt die implizierte Bandbreite des Schrottbedarfs zwischen 17,0 Mio. t und 22,7 Mio. t. Für 2045 liegt sie bei 14,9 Mio. t bis 27,6 Mio. t. 2030 liegt der Schrottbedarf nur in einem Szenario unter dem historischen Durchschnitt, 2045 in zweien.

Das Niveau der Rohstahlproduktion erscheint als wichtigste Determinante für den Schrottbedarf. Kehrt die Rohstahlproduktion auf ein Vor-Corona-Niveau zurück, könnte der Stahlschrottbedarf über die heute verfügbare Menge steigen. Falls die Rohstahlproduktion zurückgeht, könnte der Schrottbedarf der deutschen Stahlindustrie trotz veränderter Produktionsrouten und steigender Schrotteinsatzquoten fallen.

Hochwertiger Schrott dürften besonders gefragt sein

Der Bedarf an hochwertigem Schrott dürfte steigen. Die neuen Technologien zur wasserstoffbasierten Stahlherstellung erlauben einen flexibleren Schotteinsatz als die heutige Hochofenroute, erfordern aber Schrott ohne Verunreinigungen. Der Bedarf an hochwertigem Schrott liegt 2030 in einer Brandbreite von 4,3 Mio. t bis 7,7 Mio. t. 2045 verändert er sich zu 2,7 Mio. t bis 10,1 Mio. t. Zum Vergleich: zwischen 2015 und 2023 wurde in der Hochofenroute in Deutschland durchschnittlich 4,8 Mio. t Stahlschrott eingesetzt. Ein Mehrbedarf an hochwertigem Schrott scheint selbst bei insgesamt fallender Rohstahlproduktion möglich. Die Unsicherheit über die benötigten Mengen ist größer als beim Schrottbedarf insgesamt.

Verfügbarkeit von Stahlschrott: Quantität und Qualität

Die (quantitative) Verfügbarkeit von Stahlschrott in Deutschland ist in der Mehrheit der Szenarien – gegenüber der heutigen Verfügbarkeit – ausreichend. Nur bei einer Erholung der Rohstahlproduktion und hohen Schrotteinsatzquoten in den neuen Produktionsrouten bedarf es eines zusätzlichen Schrottangebots.

Die Verfügbarkeit hochwertigen Schrotts für die Fertigung anspruchsvoller Stähle erscheint im Licht der Ergebnisse kritischer. In 7 (2030) bzw. 6 (2045) von 9 Szenaren steigt der Bedarf an hochwertigem Schrott über die aktuellen 4,8 Mio. t. Die Verfügbarkeit dürfte in Deutschland sinken, da sie sich das Schrottangebot hin zu Altschrotten verschiebt (Hundt und Pothen 2025).

Schlussfolgerungen

Die Verfügbarkeit von hochwertigem Schrott in Deutschland sollte gesteigert werden, um der steigenden Nachfrage und dem fallenden Angebot entgegenzuwirken. Ein eigenständiger Markt mit höheren Zahlungsbereitschaften für hochwertigen Schrott erscheint dazu wichtig. Dazu sollten Anreize zur besseren Sammlung, Sortierung und Aufbereitung von Stahlschrott geschaffen werden. Außerdem sollte Handelspolitik Importmöglichkeiten für Schrott schaffen bzw. erhalten. Schrottbedarfe sollten auch auf europäischer Ebene quantifiziert werden.

Referenzen

  1. Hartung, Maik; Pothen, Frank; Hundt, Carolin (2025), Szenarien für den Stahlschrottbedarf der deutschen Stahlindustrie, Wirtschaftswissenschaftliche Schriften der Ernst-Abbe-Hochschule Jena 2025/2.
  2. Hundt, Carolin; Pothen, Frank (2025), European Post-Consumer Steel Scrap in 2050: A Review of Estimates and Modeling Assumptions, Recycling 10(1): 21.
  3. Günther, Edeltraud (2024), Gabler Wirtschaftslexikon: Szenarien, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/szenarien-53735, 18.10.2024.
  4. Hans-Böckler-Stiftung (2024), Szenarien: Denken in Alternativen, https://www.mitbestimmung.de/html/arbeiten-mit-szenarien-3510.html, 18.10.2024.
  5. Wirtschaftsvereinigung Stahl (2024), Daten und Fakten zur Stahlindustrie in Deutschland, https://www.wvstahl.de/wp-content/uploads/WV-Stahl_Daten-und-Fakten-2024_RZ-Web.pdf, 30.04.2025.
  6. World Steel Association (2021), Life cycle inventory (LCI) study. 2021 data release, 30.04.2025.

Autoren

Maik Hartung, Frank Pothen, Carolin Hundt

 

Die vollständige Studie können Sie hier lesen.

Bildquelle, falls nicht im Bild oben angegeben:

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