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Echtzeitüberwachung von energieintensiven Industrieprozessen am Beispiel der Gießerei-Industrie

Digitalisierung und Industrie 4.0 stellen auch heute noch zahlreiche industrielle klein- und mittelständige Unternehmen (KMU) vor große Herausforderungen. Die Fragen nach einem an die jeweiligen betrieblichen Bedürfnisse angepassten sinnvollen Einstieg in diese beiden Technologiefelder bleiben. Das gilt auch für alle Industriezweige, in denen eine genaue, reproduzierbare Temperaturführung für eine gleichbleibende Produktqualität essenziell ist. Ansätze, die in Großunternehmen aufgrund bestehender Automatisierungs- und vernetzter Anlagentechnik funktionieren, gehen vielerorts an der Realität der KMUs vorbei und setzen an den falschen Stellen an.

von | 12.11.24

Bild 1: Industrie 4.0 Entwicklungspfad nach [1] sowie die die darin beschriebenen durch die hier vorgestellten Arbeiten abgedeckten Entwicklungsstufen. Die Größe der Kreise symbolisieren den mit jedem Schritt größer werdenden Nutzen für die Betriebe (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)
Bild 1: Industrie 4.0 Entwicklungspfad nach [1] sowie die die darin beschriebenen durch die hier vorgestellten Arbeiten abgedeckten Entwicklungsstufen. Die Größe der Kreise symbolisieren den mit jedem Schritt größer werdenden Nutzen für die Betriebe (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Dr. Eric Riedel, Florian Quack

Digitale Lösungen sollten vor allem an der Basis, also an den eigentlich wertschöpfenden Prozessen, ansetzen und den KMUs, die nicht umsonst als eine der wesentlichen Säulen der deutschen Industrie und Wirtschaft bezeichnet werden, zugutekommen. Es erfordert Lösungen, die den betrieblichen Bedingungen wie den beispielsweise historisch gewachsenen Räumlichkeiten und per se nicht miteinander verknüpfbaren Anlagenbeständen flexibel und individualisiert gerecht werden.

Vor diesem Hintergrund wurde bei der ENA – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH (ENA) ein auf Open-Source-Software (OSS) basierendes Konzept erarbeitet und am Beispiel der Aluminium-Gussteilerzeugung an einem Schmelz- und Gießofen im Industriemaßstab umgesetzt, das neben einer Echtzeitüberwachung aller für die Gussteilfertigung kritischen Prozessparameter (vor allem der Temperaturen) die Messung der real angefallenen Energieverbräuche und somit der damit rechnerisch einhergehenden CO2-Emissionen erlaubt.

Wo Digitalisierung und Industrie 4.0 anfangen

Um zu Beginn für einen einheitlichen Ausgangspunkt zu sorgen, sollte noch einmal kurz dargelegt werden, wo die Grenzen von Digitalisierung und Industrie 4.0 verlaufen. Dazu hat bereits vor einigen Jahren der FIR e. V. an der RWTH Aachen eine anschauliche Infografik erstellt und veröffentlicht [1], die diese Entwicklung veranschaulicht und in Anlehnung daran in Bild 1 in ihrem prinzipiellen Verlauf dargestellt ist.

Demnach besteht der Industrie 4.0-Entwicklungspfad aus sechs Stufen, von denen die ersten beiden der Digitalisierung zugeordnet sind und die Schritte Computisierung (1) und Konnektivität (2) umfassen. Mit dem Übergang von der Konnektivität (2) zur Sichtbarkeit (3) und Transparenz (4) der Messdaten wird bereits das Feld der Industrie 4.0 betreten. Die letzten zwei Schritte Prognosefähigkeit (5) und Adaptierbarkeit (6 -Selbstoptimierung) sollen an dieser Stelle fürs erste außen vorgelassen werden, können von dem im Folgenden dargestellten Konzept jedoch potenziell mit abgedeckt werden.

Versetzen wir Betriebe also in die Lage, ihre Prozesse und Prozessdaten permanent in Echtzeit erfassen und visualisieren zu können, öffnen wir diesen Betrieben das Tor zur Industrie 4.0 und schaffen zunächst eine robuste (Daten-)Grundlage, auf der alle weiteren Entwicklungsschritte aufbauen können. Die Computisierung und Konnektivität der Phase der Digitalisierung werden hierbei automatisch mit abgedeckt.

Prozesskette der Aluminium-Gussteilfertigung

Um ein grundlegendes Verständnis für den typischen Verlauf der Gussteilfertigung und die relevanten Punkte einer Messwerterfassung am Beispiel der Aluminiumgusserzeugung zu schaffen, soll die Prozesskette an dieser Stelle und mit Hilfe von Bild 2 kurz dargestellt werden.

Bild 2: Typische/verbreitete Prozesskette für die Aluminium-Gussteilfertigung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 2: Typische/verbreitete Prozesskette für die Aluminium-Gussteilfertigung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Der Prozess beginnt mit der Beschickung und dem Einschmelzen von Barren und Kreislaufmaterial der Ziellegierung, aus der die Gussteile gefertigt werden sollen, in Schmelzöfen (1).

Nach dem Einschmelzen wird das Metall vielerorts aus den Schmelzöfen in Transportpfannen umgeschöpft, die mittels Kran oder Flurfahrzeugen zu den Gießplätzen transportiert werden (2).

Dort befinden sich üblicherweise Warmhalteöfen, in welche die Schmelze aus den Transportpfannen gegossen wird. Die Warmhalteöfen dienen der Aufrechterhaltung der Schmelzetemperatur und darüberhinaus der qualitätssteigernden Behandlung der Schmelze mit entsprechenden Behandlungsmitteln und -Werkzeugen (3.1).

Gerade in kleineren Betrieben werden die Öfen an den Gießstationen sowohl für das Schmelzen als auch für das Warmhalten eingesetzt, sodass der Schmelzetransport (2) entfällt.

Parallel dazu erfolgt das Vorwärmen der Gießform (3.2), u. a. um ein vorzeitiges Erstarren der Schmelze vor abgeschlossener Formfüllung zu verhindern.

Haben Schmelze und Form ihre Zieltemperatur erreicht, wird entweder automatisch oder manuell gegossen (4). Die finale Gussteilqualität wird hierbei maßgeblich durch die Gießtemperatur der Schmelze und der Formtemperatur bestimmt. Ist das Gussteil erstarrt, wird dieses aus der Gießform entnommen und kühlt auf Raumtemperatur ab.

Nach dem Abtrennen des fertigungsrelevanten Speiser- und Anschnittsystems, das kein Bestandteil des eigentlichen Bauteils darstellt, werden die Gussteile, vor allem solche, die im Einsatz einer thermischen und/oder mechanischen Belastung ausgesetzt sind, einer zumeist zweistufigen Wärmebehandlung unterzogen (5), um eine Verbesserung der mechanischen Eigenschaften zu erzielen.

In allen beschriebenen Prozessschritten ist die Temperatur der zentrale, qualitätsrelevante Parameter. Eine funktionierende und bedarfsgerechte Lösung für eine sogenannte Echtzeit-Datenerfassung und -Visualisierung kritischer Parameter könnte somit auf die gesamte Prozesskette angewendet werden und schlagartig eine prozessweite Transparenz und Überwachung ermöglichen.

(Anlagentechnische) Ausgangssituation bei der ENA

Die ENA plant, konstruiert und realisiert seit gut 25 Jahren kundenindividuelle thermische Anlagen für Prozesstemperaturen bis zu 2.200 °C für die unterschiedlichsten Anwendungsfälle. Im Rahmen eines vom Bund geförderten Forschungsprojektes unter der Projektkoordination von Mercedes-Benz, das auf die Entwicklung und Fertigung neuer Bremsscheibentypen für Pkw unter Einsatz recycelter Aluminiumschrotte abzielt, wurde bei der ENA ein Gießplatz im Industriemaßstab eingerichtet und in Betrieb genommen, der über einen kippbaren Schmelzofen verfügt. Das Projekt bot und bietet der ENA nach wie vor die Möglichkeit zur Erprobung neuer und alternativer Technologien zur Prozessüberwachung und -steuerung außerhalb der Kundenprojekte.

Im Rahmen des Projektes dient die Echtzeiterfassung der Aufzeichnung der während der Fertigung tatsächlich vorliegenden Prozessparameter, um im Zuge der Parametervariationen für jedes Gussteil genau angeben zu können, unter welchen Bedingungen dieses hergestellt wurde und so eine Reproduzierbarkeit sicherzustellen.

Der kippbare, elektrisch-beheizte Schmelzofen der Firma Balzer verfügt über ein Fassungsvermögen von max. 770 kg flüssigen Aluminiums und kommt zum Schmelzen, Warmhalten und Gießen zum Einsatz. Als Gießform dient u. a. eine zweigeteilte, vorheizbare Kokille mit einem Kavitätsvolumen von etwa 0,015 m³ (entspricht etwa 40 kg Aluminium-Gussteilgewicht).

Die Temperierung des Werkzeuges erfolgt mit einer von der ENA konzipierten und umgesetzten Anlagensteuerung mit JUMO LC300 Temperatur-Controllern. Neben dem Ofen, der Gießform und ihren jeweiligen Steuerungen kommen weitere gießtechnologisch relevante Anlagen zum Einsatz, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird, um den Fokus rein auf die Überwachung der Prozesstemperaturen und Energieverbräuche zu legen.

Anforderungsprofil

Die Motivation für die Erarbeitung eines zielführenden Digitalisierungskonzeptes einer Gießanlage ergibt sich grundsätzlich aus der zuvor beschriebenen Einleitung, für die ENA konkret im Rahmen des Forschungsprojektes, in dessen Rahmen die Maßnahmen für eine vollständige digitale Prozesserfassung umgesetzt wurden. Ob nun Forschung und Entwicklung oder Serienfertigung/-Prozess: in den meisten Fällen stellt sich zunächst die Frage nach den erforderlichen zu erfassenden Prozessdaten.

Da die Qualität aller Gussteile (hier repräsentativ für andere, alternative thermisch hergestellte Produkte) zu einem erheblichen Anteil von den Temperatur-Regimen abhängt, bei denen die Gussteile gefertigt werden, ist die Temperatur ein guter Anfang, zusammengefasst aus den folgenden Gründen:

  • Die Temperatur ist dominierender Parameter in nahezu allen für die Gussteilfertigung erforderlichen Prozessschritten entlang der Prozesskette.
  • Hohe technologische Standardisierung in Bezug auf die Ausführung und Schnittstellen verfügbarer Thermoelemente.
  • Somit grundsätzlich eine standardisierte Lösung für alle Stationen denkbar.
  • Gussteilqualität unmittelbar abhängig von Gieß-/Schmelze- und Werkzeugtemperatur.
  • Temperatur insbesondere in klein- und mittelständigen Gießereien direkt durch den Mitarbeiter kontrollierbar (vorausgesetzt sie ist bekannt).
  • Erzeugung und Aufrechterhaltung der Prozesstemperaturen größter energetischer Verbraucher in Gießereien bzw. thermischen Industrieprozessen.

Insbesondere der letzte Punkt macht die Erfassung einer weiteren Größe sinnvoll, die mittlerweile im Fokus nahezu aller energieintensiven Unternehmen verankert ist: des Energieverbrauchs. Dieser Punkt ist auch der Bundesregierung wichtig, sodass diese den Ausbau von Energieerfassungs- und Managementsystemen mit bis zu 45 % Förderquote bezogen auf die Investitionsgesamtkoten fördert [3].

Ziel sollte es sein, für jedes Produkt und jede Charge genau angeben zu können, wie viel Energie tatsächlich verbraucht wurde; also einen Produktspezifischen „Pro-Kopf-Verbrauch“ angeben zu können. Grundsätzlich muss es das Ziel sein, dass alle relevanten Prozessdaten in einer gemeinsamen Datenbank zusammenlaufen, die in der Lage ist, diese Daten schnellstmöglich zu verarbeiten und anderen Programmen – zum Beispiel solchen zur Visualisierung – zur Verfügung zu stellen.

Konzept und Kommunikationstechnologische Grundlagen

Die nachstehenden Ausführungen und beschriebenen Programme sind nicht alternativlos. Es sind die Lösungen, mit denen eine robuste und zuverlässige Echtzeiterfassung bei der ENA erfolgreich umgesetzt werden konnte und die auch für weniger IT erfahrene Nutzer vergleichsweise leicht anwendbar sind.

Neben der Minimierung potenziell anfallender Kosten beinhalten die Auswahlkriterien u. a. die Sicherstellung einer langfristigen, entwicklerseitig unterstützten Verfügbarkeit, Kompatibilität und vor allem auch eine etablierte Nutzergemeinschaft, sodass über Foren auch Selbsthilfe bei eventuell auftretenden Schwierigkeiten möglich ist. Zudem wird den potenziellen Nutzern so die Sorge vor der Auswahl von Nischenlösungen genommen. Bei allen vorgestellten Programmen handelt es sich um Open-Source Software (OSS), was eine breite zugängliche Nutzergemeinschaft häufig erst möglich macht.

Bild 3: Kernkomponenten einer umfassenden Echtzeit-Datenerfassung und –Visualisierung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 3: Kernkomponenten einer umfassenden Echtzeit-Datenerfassung und –Visualisierung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Die realisierte Gesamtlösung umfasst, wie in Bild 3 dargestellt, auf Grundlage einer Linux-Distribution vier Komponenten: ein Kommunikationsprotokoll, eine Echtzeit-Datenbank, eine Lösung zur Koordinierung des Datenstroms sowie die Möglichkeit zur Echtzeit-Visualisierung der Daten.

Zur Sicherstellung eines geeigneten Datenaustausches soll das sog. MQTT-Kommunikationsprotokoll zum Einsatz kommen, das von Beginn an mit einem möglichst geringen Energiebedarf sowie einer ebenfalls geringen Bandbreite entwickelt wurde. Heute zählt es zu den etabliertesten Lösungen für den IIoT-Datenaustausch und verfügt über einen offiziell zugelassenen OASIS- sowie einen ratifizierten ISO-Standard. Zu den wesentlichen Stärken von MQTT zählen die Übertragungsgeschwindigkeit, Zuverlässigkeit und Einfachheit bei der Einbindung weiterer Geräte, Energieeffizienz, verfügbarer Support und eine nahezu unlimitierte Anzahl weiterer verknüpfbarer Geräte. Aufgrund dieser Stärken wird es standardmäßig von Unternehmen mit Spezialisierung auf IIoT-Lösungen genutzt, bspw. von IBM oder Amazon Web Services (AWS).

Die grundsätzliche Architektur ist in Bild 4 dargestellt. Es zeigt (von links nach rechts) die MQTT-Übertragung eines sensorisch erfassten Messwertes an einen zentralen Server, der als Broker bezeichnet wird, von dem aus andere Geräte, die jedoch nicht direkt mit dem Sensor verbunden sind, diese Messdaten abrufen können.

Bild 4: Funktionsprinzip des MQTT-Kommunikationsprotokolls nach [2] (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 4: Funktionsprinzip des MQTT-Kommunikationsprotokolls nach [2] (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Um den mithilfe des MQTT-Protokolls bewerkstelligten Datenstrom zu konfigurieren, soll das ursprünglich von IBM entwickelte flussbasierte Programmier-Tool Node-RED herangezogen werden. Es eignet sich aufgrund seiner über
etablierte Internetbrowser zugänglichen visualisierten Benutzeroberfläche, dem sog. Flow-Editor, für viele Anwender ohne ausgeprägte Programmierkenntnisse und erlaubt dennoch, auf diese Weise anspruchsvolle Systeme aufzubauen. Die ablaufbasierte Programmierung ermöglicht das Handling von Daten und Anwendungen mithilfe von Knoten, von denen jeder einem bestimmten Zweck dient. Dies kann beispielsweise ein Knoten für eine Datenquelle sein, der mit einem Funktionsknoten zur Weiterverarbeitung der Daten verbunden ist und die Daten von dort aus an einen Datenbanken-Knoten übergibt.

Für die geeignete Speicherung und Archivierung der Daten soll InfluxDB zum Einsatz kommen, eine sog. Time Series Data Base (dt. Zeitreihendatenbank), die sich gegenüber konventionellen Datenbanken durch sehr schnelle Speicher- und Abrufgeschwindigkeiten sowie eine speicherplatzeffiziente Sicherung zeitgestempelter, auch hochfrequent eingehender Prozessdaten auszeichnet.

Die letzte Komponente ist Grafana. Das Programm soll im vorliegenden Anwendungsfall vorrangig der Abfrage (Query) und Visualisierung (Visualise) von Messdaten dienen, eignet sich jedoch genauso zum Warnen bei Erreichen kritischer Grenzwerte (Alarm) und dem Verstehen (Analyse) der in der Datenbank abgelegten Messdaten.

Zu den ausgeprägten Stärken von Grafana zählt u. a., dass die Daten aus verschiedenen Datenquellen zusammengeführt werden können. Auf dieser Grundlage ist es möglich, diese professionell (optisch anspruchsvoll) und flexibel über ein sogenanntes Dashboard darzustellen und mit anderen zu teilen. Die Aktualisierungsrate sowie der betrachtete Zeitraum können dabei flexibel und bedarfsgerecht konfiguriert werden.

Umsetzung

Hardware
Die Infrastruktur für die Kommunikation und Datenübertragung wird im vorliegenden Maßstab durch ein von einer Fritzbox 4040 erzeugten Netzwerk bereitgestellt. Die gesamte sensorische Prozesserfassung selbst fußt hardwareseitig auf ESP32-Mikrocontrollern (ESP32). Diese verfügen über Wi-Fi und stellen eine kosteneffiziente und leistungsstarke Lösung für die Verarbeitung und Übertragung von (Mess-)Daten dar.

Zur Temperaturerfassung kommen eigens entwickelte, auf dem ESP32 basierende Messeinheiten zum Einsatz. Sie erlauben einen flexiblen und bedarfsgerechten Einsatz und können sowohl mit einem Akku als auch am Netz betrieben werden. Die eingesetzten Varianten verfügen über einen PCC-Connector (Miniatur-Steckeranschluss), können aber auch mit direkten Drahtanschluss oder M12-Stecker ausgestattet werden. Der im Messverstärker verwendete Chip erlaubt den Einsatz von Thermoelementen der Typen J, K, T, N, E, B, S und R. Tests mit einem Thermoelementkalibrator (Fluke 714B) konnten eine zuverlässige Temperaturerfassung bis zu 1.600 °C nachweisen. Die Messdaten werden nach dem oben beschriebenen Konzept mittels MQTT an einen Broker übertragen.

Bild 5: Schema der Prozessdatenerfassung sowie dessen potenzielle Skalierung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 5: Schema der Prozessdatenerfassung sowie dessen potenzielle Skalierung (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Mit Blick auf die Energiedatenerfassung finden sich die ESP32 in 3-Phasen-Stromverbrauchsmessgeräten der Firma Shelly. Diese sind in zwei unterschiedlichen Varianten verbaut:Der Shelly Pro 3EM – 120A kommt für die Temperatursteuerung der Kokille zum Einsatz, während der Shelly Pro 3EM – 400A in der Temperatursteuerung des Schmelzofens Verwendung findet. Beide Geräte kommen von Haus aus mit WLAN- und MQTT-Unterstützung und können auf diese Weise flexibel und problemlos in die oben beschriebene digitale Infrastruktur integriert werden. Das bis hierhin beschriebene Gesamtsystem zur Prozessdatenerfassung ist, wie Bild 5 entnommen werden kann, skalierbar und kann einfach um weitere Gieß-/Prozessstationen erweitert werden.

Bild 6: Node-RED-Programmauszug zur Konfiguration des Datenstroms (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 6: Node-RED-Programmauszug zur Konfiguration des Datenstroms (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Digitale Infrastruktur
Die gesamte technische Umsetzung basiert auf den im Konzept beschriebenen Komponenten. Hierbei bildet das MQTT-Protokoll die Grundlage, mit dessen Hilfe die Prozessdaten innerhalb eines (internen) Netzwerks zwischen Clients und Broker ausgetauscht werden. Auf dem Gerät, das als Broker dient, ermöglicht Node-RED die Festlegung und Regelung des Datenflusses. Im konkreten Fall ist dies der Transfer der mittels MQTT von den Sensoren gesendeten Daten an die InfluxDB-Datenbank. Die entsprechende Konfiguration kann exemplarisch Bild 6 entnommen werden. Diese zeigt, von links nach rechts, den Eingang mehrerer Temperatur-Messdaten (lila Knoten), aus denen mit Hilfe von Funktionsknoten (beige) die einzelnen Messdaten extrahiert und an die Datenbank (braune Knoten) übergeben werden. Grüne Knoten, sogenannte Debug-Knoten, dienen der Überprüfung der Konfiguration und des Datenstroms.

Für die Visualisierung der Messdaten werden diese von dem Visualisierungtool Grafana in Dashboards angezeigt. Diese können flexibel und bedarfsgerecht erstellt werden. Grafana fragt die dazu erforderlichen Daten selbst direkt aus der Datenbank (InfluxDB) ab.

Bild 7: Exemplarisches Dashboard zur Prozessdaten-Visualisierung für den hier beschriebenen Anwendungsfall. (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 7: Exemplarisches Dashboard zur Prozessdaten-Visualisierung für den hier beschriebenen Anwendungsfall. (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 7 kann ein exemplarisches mit Grafana erstelltes Dashboard zur Prozessdaten-Visualisierung für den hier beschriebenen Anwendungsfall entnommen werden. Das Dashboard zeigt die aktuellen Temperaturdaten des Ofens und der Gießform an jeweils einer Messstelle sowie darunter deren zeitliche Verläufe an. Der untersten Reihe können die zu dem Zeitpunkt aktuellen Energieverbrauchsdaten Wirkleistung, Strom und Scheinleistung entnommen werden.

Alle Programme laufen im vorgestellten Maßstab auf einem als Broker dienenden Gerät mit Linux-Distribution, da die genannten Programme primär für Linux ausgelegt sind. Im konkreten Fall handelt es sich um das kostenlose Linux-Betriebssystem Ubuntu Desktop.

Potenziale

Der beschriebene Lösungsweg erlaubt unter Einsatz der beiden Systeme, der Temperatur- sowie der Energiedatenerfassung, für den vorliegenden Anwendungsfall zusammengenommen einen einfachen, bedarfsgerechten und konkreten Einstieg in den Technologiebereich der Industrie 4.0. Das vorgestellte Gesamtsystem geht mit einem hohen Grad an Prozesstransparenz her, die letztlich der Stufe 4 des Industrie 4.0 Entwicklungspfades (Bild 1) entspricht.

Neben der Darstellung und Kenntnis der IST-Daten erlaubt die über einen angemessenen Zeitraum gesammelte Datenmenge eine fundierte Analyse der Prozessbedingungen und die Ermittlung von Optimierungspotenzialen, die andernfalls möglicherweise nicht in diesem Ausmaß zu heben sind. Dazu zählen bspw. eine genaue Erfassung der Taktzeiten, des Gussteil-/Produktbezogenen energetischen „Pro-Kopf-Verbrauchs“ sowie die Berechnung der damit einhergehenden CO2-Emissionen.

Darüber hinaus ist auch eine indirekte Zustandserfassung thermischer Anlagen möglich, die mit zunehmenden Verschleißgrad bestimmter Komponenten mehr Energie verbrauchen. Dieses Plus an Energie kann über den Lebenszyklus dieser Verschleißteile erfasst werden, sodass im Sinne einer „Predictive Maintenance“ rechtzeitig gehandelt werden kann.

Bild 8: Erweiterung der vorgestellten Lösung auf die gesamte Prozesskette (Quelle: ENA Industrieofenbau - Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Bild 8: Erweiterung der vorgestellten Lösung auf die gesamte Prozesskette (Quelle: ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH)

Wie bereits beschrieben, ist das Gesamtsystem skalierbar und kann, wie Bild 8 veranschaulicht, auf die gesamte Prozesskette erweitert werden. Die Erfassung von Temperatur- und Energiedaten stehen zwar im Fokus dieses Artikels, tatsächlich ist das System bei der ENA jedoch mittlerweile deutlich komplexer und entspricht in weiten Zügen der Darstellungen in Bild 8.

Die meisten industriellen Steuerkomponenten verfügen heute zudem über verschiedene Modbus-Schnittstellen (RTU, TCP/IP). Das gilt auch für die Steuerkomponenten in der bei der ENA installierten Anlage. Ein einfaches Beispiel dafür sind die JUMO LC300 Temperaturcontroller für die Steuerung der Gießform-Temperierung. Diese sind mit einem Einplatinen-Computer verbunden, der zum einen die Steuerungsdaten per MQTT an den Broker übermittelt, mit dessen Hilfe diese dann in der Datenbank abgelegt werden können. Zum anderen können auf diese Weise jedoch auch Steuerbefehle wie die SOLL-Temperatur oder die Temperatursteigung direkt an die Temperaturcontroller übermittelt werden. Dies ist u. a. aufgrund der Vielseitigkeit von Node-RED möglich, dass aufgrund diverser Erweiterungen eine sehr hohe industrielle Kompatibilität mit den verschiedensten, auch neuartigen Systemen (wie bspw. OPC UA) aufweist und eine geregelte Interaktion dieser Systeme untereinander ermöglicht.

Zukünftige Entwicklungsziele

Der Artikel zeigt einen möglichen Lösungsweg auf, der es erlaubt, das Feld der Industrie 4.0 bis einschließlich Stufe 4 zu betreten. Damit stellen Stufe 5 und Stufe 6 zukünftige Entwicklungsziele dar.

Mit Hilfe des beschriebenen Systems können diese ebenfalls erreicht werden, setzten jedoch die Verfügbarkeit von Ergebnisdaten voraus. Für die Gussteilfertigung sind dies u. a. Daten über die Gefügeausprägung und die mechanischen Eigenschaften der Teile. Liegen diese Daten vor, sind Prognosen (Stufe 5) über den Einfluss der vorliegenden Fertigungsparameter auf die Gussteileigenschaften möglich. Bei entsprechender Vorgabe der SOLL-Eigenschaften ist auf dieser Grundlage eine selbstgeregelte Adaptierbarkeit (Stufe 6) der Prozessparameter realisierbar. Dies setzt eine umfassende und systematische Analyse der Fertigungs- und der daraus resultierenden Ergebnisdaten voraus, die manuell nur noch mit erheblichem zeitlichem Aufwand realisierbar ist. An dieser Stelle soll in Zukunft der zielgerichtete Einsatz von Open-Source Machine Learning-Tools/Künstlicher Intelligenz für die Auswertung und Prognose von Fertigungsdaten untersucht werden.

Autoren

Dr.-Ing. Eric Riedel
ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH

Florian Quack M.Sc.
ENA Industrieofenbau – Elektrotechnologien und Anlagenbau GmbH

Quellen
G. Schuh et al, „Industrie 4.0 Maturity Index. Die digitale Transformation von Unternehmen gestalten – Update 2020“. Acatech STUDIE, 2020.
MQTT & MQTT 5 Essentials – A comprehensive overview of MQTT facts and features for beginners and experts alike.“ HiveMQ GmbH, 2020.
Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), „Merkblatt Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW)“, Stand: 01.08.2024.

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